Stimmen von Betroffenen – Teil 2

Hier sammeln wir persönliche Erzählungen von unterschiedlichen Personen in Österreich, die über ihren Umgang mit Alkohol berichten. Die Geschichten werden laufend ergänzt. Danke an alle, die ihre Geschichte mit uns teilen.

Dry January

Dry January…nicht für mich!Ich habe mich bewusst für einen Dry November und Dry March entschieden, weil ich ohne Druck, voller Freude und nur für MICH auf das Genussmittel ALKOHOL verzichten wollte. Es war aber kein VERZICHT, sondern ein bewusstes Weglassen, trotz Adventszeit und einige Feierlichkeiten. Die Akzeptanz meiner Umgebung war großartig und auch das Gefühl sagen zu können, ich mach DAS, weil ich es WILL!
Genuss statt Muss!!

Carmen, 50, Kumberg

Mir schmeckt Alkohol nicht

Mir schmeckt Alkohol nicht. Aber mir schmeckt überhaupt nur Wasser und Kakao, ich weiß, da bin ich etwas eigenartig für einen Jugendlichen. Beim Fortgehen trinkt ein Großteil meiner Freunde Alkohol, aber sie besaufen sich eigentlich nie oder nur ein kleiner Teil von ihnen und nur manchmal. Ich kann aber im Lokal nicht nur Leitungswasser bestellen, und Kakao ist auch nicht cool, da würde ich mich schämen. Also bestelle ich nun immer einen Radler und ein großes Leitungswasser dazu. Vom Radler trinke ich nur zwei Schluck, und den Rest dürfen die anderen trinken. Ein Freund von mir macht das auch so. Es wird von allen akzeptiert.

Michael G., 16, Lungau

Ein Monat alkoholfrei zur Selbstkontrolle

Ich trinke abends gern ein kleines Bier, nicht jeden Abend, aber schon regelmäßig. Natürlich halte ich mich an die Vorgaben der WHO mit den mindestens zwei alkoholfreien Tagen pro Woche. Quasi nie wird es mehr als ein Bier, auch nicht beim Fortgehen oder wenn es etwas zu feiern gibt. Obwohl ich im österreichischen Schnitt wohl wenig trinke, mache ich ein Monat im Jahr immer alkoholfrei, ausnahmslos. Meine Frau und ich machen das gemeinsam zur Selbstkontrolle. Wir wollen beide den Alkohol nicht brauchen, obwohl wir nie viel trinken.

Stefan P., 53, Graz

Ein Glaserl am Abend zum Runterkommen

„Ich hatte vor einigen Jahren eine stressige Phase, in der ich Abends viel zuhause am Computer arbeiteten musste, zusätzlich zu Hauptjob und Familie mit kleinen Kindern. Ich war in dieser Zeit auch mehr allein als sonst, denn die Familie ließ mich oft bewusst „in Ruhe“, damit ich Zeit zum Arbeiten hatte. In dieser Phase hatte ich mir angewöhnt, jeden Abend Alkohol zu trinken, ein Achterl Weiß oder maximal zwei. Zum Runterkommen. Als Gesellschaft mit mir selbst. Als Abwechslung zur vielen Arbeit. Mit der Zeit merkte ich, dass das Glas schon leer war, bevor mir bewusst war, dass ich trank. Plötzlich stand es leer vor mir, obwohl ich doch vorhin erst eingeschenkt hatte. Ich hatte es ja am Computer stehen und nebenbei weitergearbeitet. Als mir das auffiel, schreckte ich mich richtig und hörte ganz schnell wieder mit dem Nebenher-Trinken auf. Seither trinke ich Alkohol, wenn überhaupt, dann bewusst. Ich denke, ich hätte damals süchtig werden können.“

Maria H., 38, Oststeiermark

Alkoholkrankheit in der Familie

Wenn es nur um mich persönlich ginge, könnte ich gern meinen Namen nennen, denn ich trinke so gut wie nie Alkohol. Obwohl mir manches durchaus schmecken würde. Aber ich vertrage Alkohol einfach schlecht und der Umgang damit macht mir – bedingt durch meine Herkunftsgeschichte – Angst. In meiner Großfamilie wird nämlich sehr viel und oft getrunken. Viele Familienmitglieder (mein Vater, Onkeln, Cousins und eine Tante) sind Alkoholiker. Das darf natürlich nicht ausgesprochen werden. Das Interessante daran ist, dass alle gut „funktionierende“ Mitglieder der Gesellschaft sind. Alle konnten/können ihren Beruf tadellos ausüben und alle sind angesehene Personen. Getrunken wird erst nach der Arbeit, am Abend und am Wochenende. Dann aber absolut regelmäßig und in großen Mengen. Einer meiner Cousins weiß um die Problematik: Trotz einer Gastritis konnte er der Empfehlung des Arztes, auf Alkohol zu verzichten, einfach nicht nachkommen. Er weiß auch, dass er in betrunkenem Zustand sexuell übergriffig wird (Firmenfeiern). Da er ein sehr beliebter Chef und überhaupt ein netter Mensch ist, hat ihn das bisher noch nicht in Schwierigkeiten gebracht. Er weiß aber, dass das sein Leben zerstören könnte. Seine Tochter sagte mir einmal, wie schrecklich es ist, wenn der Vater mit Alkoholfahne eine Gute-Nacht-Bussi einfordert.

Die gut funktionierenden Alkoholiker sehen vermutlich eine Problematik am wenigsten. Abgesehen von der Schädigung der Gesundheit, verändert Alkohol die Persönlichkeit stark und schadet somit auch dem Umfeld, vor allem den Kindern. Ich habe unter der Sucht meines Vaters gelitten.

Familienbedingt kenne ich viele Strategien der Verharmlosung: Alkoholgenuss hat etwas mit Ess-/Trinkkultur zu tun. Zu einem guten Essen gehört einfach ein Glas Wein, zu einem Gulasch gehört einfach ein Bier. Wenn man in der Fastenzeit (oder im Jänner oder Februar) nichts trinkt, ist man kein Alkoholiker. Das ständige Betonen des Nicht-Trinkens ist dabei aber auffällig und die Enthaltsamkeit fällt den Betroffenen wirklich schwer. Auffallend ist, dass Alkoholiker selten betrunken sind. Sie vertragen ja ungewöhnliche Mengen. Daher ist der Satz „den hab ich aber nie betrunken gesehen“ eine weitere Verharmlosung.

Besonders nervig finde ich auch die „Heldengeschichten“ rund um den Alkoholkonsum. Männer erzählen gerne, wann sie wieviel getrunken (geschafft) haben, übertrumpfen sich in der Menge (acht Bier! Nein zehn Halbe!) und prahlen mit damit einhergehenden Dummheiten. Diese Geschichten sind immer sehr „lustig“. Man ist z. B. auch volltrunken Auto gefahren, eine Stiege runtergefallen etc.

Wenn ich Alkohol ablehne mit dem Argument „ich vertrag ihn einfach nicht“ (bei einem Glas Sekt bekomme ich rote Flecken am Hals – das ist eine Histaminunverträglichkeit), kommt fast immer die Reaktion: „Ja, weil Du nicht geeicht bist“. Dazu die Erklärung und Eigenerfahrung, dass, wenn man länger nichts trinke, ein Bier schon spüre, hingegen bei regelmäßigem Alkoholkonsum erheblich mehr vertrage. Das mag ja stimmen, ist trotzdem eine seltsame Antwort. Bei keinem anderen Genuss-/Suchtmittel würde man sagen: „Du musst es nur regelmäßig konsumieren, dann vertragst Du es auch besser“ (Zigaretten, Kiffen …?)

Interessanterweise halte ich betrunkene Gesellschaft gut aus. Vermutlich weil ich so daran gewöhnt bin. Ich kann lange Abende und ganze Nächte mit zunehmend betrunkenen Menschen aushalten und in solchen Runden auch Spaß haben. Ich war mit meinem Nicht-Trinken nie Außenseiterin und in jungen Jahren die beliebte nüchterne Autofahrerin.

Mein letzter Alkoholkonsum? Vor ein paar Wochen habe ich bei Freunden selbstgemachten Eierlikör verkostet (köstlich!) und vor drei Jahren habe ich mit einem Freund (mit Genuss) eine Erdbeerbowle getrunken. In meinem engen Freundeskreis gibt es keine Alkoholiker und nur sehr gemäßigten Alkoholgenuss.

Martina S., 61, Linz